
Echter Stil ist kein Sammelalbum für Logos, sondern der sichtbare Ausdruck deiner Persönlichkeit.
- Die Hype-Kultur zielt auf Konsum und sozialen Druck, nicht auf individuelle Entfaltung.
- Dein persönlicher « Stil-Dialekt » entsteht durch kreatives Kombinieren, nicht durch das Jagen limitierter Drops.
Empfehlung: Analysiere deine Garderobe nach dem « Cost-Per-Wear »-Prinzip, um bewusste statt von Trends getriebene Entscheidungen zu treffen.
Der Schrank ist voll, aber du hast trotzdem nichts anzuziehen. Genauer gesagt: Der Schrank ist voll mit Hype. Da hängt das Supreme Box-Logo-Shirt, dort liegen die Off-White-Sneaker – Statussymbole, die im Moment des Kaufs einen Rausch auslösten, aber im Alltag seltsam fremd wirken. Du bist Teil eines exklusiven Clubs, aber fühlst du dich wirklich repräsentiert? Viele junge Männer in deutschen Großstädten wie Berlin oder Hamburg kennen dieses Gefühl. Man ist gefangen zwischen dem Wunsch, dazuzugehören, und dem Bedürfnis, eine eigene Identität auszudrücken.
Die üblichen Ratschläge sind bekannt: « Finde Inspiration auf Pinterest » oder « Investiere in zeitlose Klassiker ». Doch diese Tipps übersehen den Kern des Problems. Es geht nicht darum, noch mehr Bilder zu konsumieren oder uniformen Regeln zu folgen. Die Hype-Kultur mit ihren limitierten Drops und dem Resell-Wahnsinn ist ein mächtiges Geschäftsmodell, das gezielt mit dem Gefühl der Knappheit und dem Bedürfnis nach sozialer Bestätigung spielt. Aber was, wenn der Ausweg nicht Verzicht, sondern eine bewusstere Form des Konsums ist? Was, wenn die wahre Kunst darin besteht, die laute Sprache globaler Trends in deinen eigenen, leisen aber unverkennbaren « Stil-Dialekt » zu übersetzen?
Dieser Artikel ist kein weiterer Appell, Trends zu ignorieren. Er ist eine strategische Anleitung, um die Mechanismen der Hype-Kultur zu durchschauen und sie für dich zu nutzen, statt ihr Opfer zu werden. Wir werden dekonstruieren, warum du sammelst statt zu tragen, wie du einen Look entwickelst, der wirklich « du » ist, und wie du rationale Entscheidungen triffst, die dein Budget und deine Persönlichkeit respektieren. Es ist an der Zeit, vom Sammler zum Kurator deiner eigenen, tragbaren Identität zu werden.
Dieser Leitfaden führt Sie durch die entscheidenden Fragen und Denkweisen, die Sie vom Trendfolger zum Stilschöpfer machen. Jede Sektion baut auf der vorherigen auf, um einen klaren Weg zu einem authentischen Look zu skizzieren.
Inhaltsverzeichnis: Dein Weg zum authentischen urbanen Look
- Warum haben Sie 15 Supreme-Teile, tragen aber nur 2 davon regelmäßig?
- Wie entwickle ich einen erkennbaren persönlichen Look statt Trends zu kopieren?
- Soll ich für Off-White campen oder bei Uniqlo kreativ kombinieren?
- Warum geben Sie 800 € für Schuhe aus, die Sie nie tragen werden?
- Soll ich mit 32 noch Supreme tragen oder zu « erwachsener » Mode wechseln?
- Wie finde ich als Zugezogener in Berlin innerhalb von 6 Monaten einen echten Freundeskreis?
- Soll ich nur behalten, was Freude macht, oder mit 100 Dingen leben?
- Wie baue ich echte Freundschaften auf, wenn alle nur noch über Apps kommunizieren?
Warum haben Sie 15 Supreme-Teile, tragen aber nur 2 davon regelmäßig?
Dieses Phänomen ist der Kern der « Konsumfalle ». Es geht weniger um Kleidung als um den Akt des Erwerbs. Der Nervenkitzel der Jagd, der « Win » bei einem limitierten Drop, der Dopamin-Stoß, wenn die Bestellbestätigung eingeht – all das sind starke psychologische Treiber. Du kaufst nicht nur ein T-Shirt, du kaufst eine Trophäe, einen Beweis deiner Zugehörigkeit zur Szene. Federico, ein 19-jähriger Sammler, fasste dies in einem Interview treffend zusammen. Er beschreibt, wie er in nur zweieinhalb Jahren eine beachtliche Sammlung aufgebaut hat:
Ich bin seit zweieinhalb Jahren Supreme-Fan, in dieser Zeit habe ich rund 25 Supreme-Teile gekauft – meistens T-Shirts.
– Federico, 19, VICE Interview
Das Problem: Diese Trophäen sind oft schwer im Alltag zu integrieren. Ein lautes Logo-Shirt passt nicht zu jedem Anlass und fühlt sich manchmal wie eine Verkleidung an. Das Ergebnis ist eine emotionale Dissonanz: Der Wert des Stücks liegt im Besitz, nicht im Tragen. Deine Garderobe wird zu einem Museum für vergangene Siege, anstatt ein Arsenal für deinen täglichen Ausdruck zu sein. Die wenigen Stücke, die du tatsächlich trägst, sind oft die subtileren, vielseitigeren Teile, die versehentlich mitgekauft wurden. Das Erkennen dieser Diskrepanz ist der erste, entscheidende Schritt zur Befreiung aus dem Hype-Zyklus. Es ist die Einsicht, dass der Wert eines Kleidungsstücks nicht auf seinem Resell-Preis bei StockX basiert, sondern darauf, wie oft und wie gerne du es trägst.
Wie entwickle ich einen erkennbaren persönlichen Look statt Trends zu kopieren?
Die Antwort liegt im Konzept des « Stil-Dialekts ». Stellen Sie sich die globale Streetwear-Kultur als eine Sprache vor. Was in Tokio, L.A. oder London gesprochen wird, sind die Hauptdialekte. Ein Fehler, den viele machen, ist der Versuch, diese Dialekte perfekt zu imitieren. Das Ergebnis wirkt oft einstudiert und unauthentisch. Ein persönlicher, erkennbarer Look entsteht, wenn Sie aufhören zu imitieren und anfangen, Ihren eigenen lokalen Dialekt zu entwickeln – einen, der von Ihrer Stadt, Ihrem Umfeld und Ihrer Persönlichkeit geprägt ist.
Ein herausragendes Beispiel für einen solchen « Stil-Dialekt » ist die Berliner Marke GmbH. Anstatt amerikanischen Hype zu kopieren, schöpfen die Gründer ihre Inspiration direkt aus der lokalen Kultur.
Fallstudie: GmbH Berlin – Deutsche Alternative zur Hype-Kultur
Gegründet von Serhat Isik und Benjamin Alexander Huseby, entstand die Ästhetik von GmbH auf den Tanzflächen legendärer Berliner Nachtclubs. Die Marke nutzt bewusst Deadstock-Materialien aus einer High-End-Fabrik in Mailand und positioniert sich damit gegen die Überproduktion der Modeindustrie. Ihr Stil ist eine direkte Übersetzung des rauen, funktionalen und doch sinnlichen Lebensgefühls der deutschen Hauptstadt – ein perfektes Beispiel für einen authentischen, lokal verwurzelten « Stil-Dialekt ».
Um Ihren eigenen Dialekt zu finden, müssen Sie zum Beobachter Ihrer Umgebung werden. Wie kleiden sich Menschen in Ihrem Viertel in Berlin-Neukölln im Vergleich zu Hamburg-Eppendorf? Welche Silhouetten, Materialien und Farbkombinationen dominieren? Nehmen Sie diese lokalen Codes auf und filtern Sie sie durch Ihre persönlichen Vorlieben. Vielleicht kombinieren Sie die weite Silhouette eines Berliner Techno-Looks mit der hochwertigen Verarbeitung, die Sie schätzen. So entsteht eine tragbare Identität, die sowohl in Ihrer Community verankert als auch unverkennbar Ihre eigene ist.

Die nebenstehende Darstellung zeigt, wie unterschiedlich urbane Stile selbst innerhalb Deutschlands sein können. Von der rohen Layering-Ästhetik Berlins über den klaren Minimalismus Hamburgs bis hin zum dezenten Luxus Münchens – jede Stadt hat ihre eigene visuelle Sprache. Ihr persönlicher Stil wird dann am stärksten, wenn er eine bewusste Antwort auf dieses Umfeld ist, anstatt eine Kopie eines globalen Trends.
Soll ich für Off-White campen oder bei Uniqlo kreativ kombinieren?
Diese Frage stellt eine falsche Dichotomie dar. Es geht nicht um « teuer und exklusiv » gegen « günstig und massentauglich », sondern um eine bewusste Ressourcenallokation – von Zeit, Geld und kreativer Energie. Die Hype-Maschinerie ist darauf ausgelegt, alle drei Ressourcen maximal zu beanspruchen. In Deutschland hat sich dieser Markt besonders schnell professionalisiert. Wie das Digmo Magazin feststellt, nutzen viele neue Labels gezielt moderne Vertriebswege, um Hype zu generieren:
Ganz aktuell sind einige Designer aus Deutschland sehr erfolgreich im Streetwear Clothing geworden. In den letzten Jahren wurden viele Labels gegründet, die schon nach kurzer Zeit hohe Umsätze erzielen konnten. Die Geschäftsmodelle beziehen sich auf Print on Demand, Partnerschaften und intensives Social Media Marketing.
– Digmo Magazin, Streetwear von gestern bis heute
Dieser professionalisierte Hype-Zyklus hat einen hohen Preis, der weit über den Euro-Betrag auf dem Etikett hinausgeht. Eine ehrliche Analyse der « wahren Kosten » (True Cost) zeigt, wie ineffizient die Jagd nach einem Hype-Drop im Vergleich zum Aufbau einer kreativen Basisgarderobe ist. Es geht um den strategischen Einsatz Ihrer Mittel für maximale stilistische Freiheit.
| Faktor | Off-White Drop | Uniqlo+1 Konzept |
|---|---|---|
| Anschaffungskosten | 400-800€ pro Teil | 150€ (100€ Basics + 50€ Statement) |
| Zeitaufwand | 8-12 Stunden (Anstehen/Online-Kampf) | 2 Stunden Shopping |
| Erfolgswahrscheinlichkeit | < 10% bei Drops | 100% Verfügbarkeit |
| Vielseitigkeit | Limitiert (Logo-fokussiert) | Hoch (Mix & Match) |
| Langlebigkeit Style | 1-2 Saisons | Zeitlos kombinierbar |
Die Tabelle macht es deutlich: Der Weg über hochwertige Basics, ergänzt durch ein oder zwei gezielt ausgewählte Statement-Pieces (die nicht zwangsläufig Hype sein müssen), ist die überlegene Strategie. Sie gewinnen nicht nur finanzielle Ressourcen zurück, sondern vor allem Zeit und mentale Energie, die Sie in die kreative Kombination Ihrer Garderobe investieren können. Anstatt stundenlang auf einen digitalen Drop zu warten, können Sie diese Zeit nutzen, um Second-Hand-Läden in Ihrem Viertel zu erkunden oder zu lernen, wie man vorhandene Teile neu stylt. Das ist der Unterschied zwischen passivem Konsum und aktiver Stilgestaltung.
Warum geben Sie 800 € für Schuhe aus, die Sie nie tragen werden?
Die Antwort ist oft eine Form der Selbsttäuschung, die auf einem weit verbreiteten Missverständnis beruht: der Verwechslung von Sammelobjekt und Gebrauchsgegenstand. Ein Sneaker für 800 €, der in der Box bleibt, ist kein Schuh mehr. Er ist ein Kunstobjekt, eine Aktie, eine Wette auf zukünftigen Wert. Diese Denkweise ist in Deutschland besonders bei jüngeren Generationen verbreitet. Eine aktuelle Umfrage bestätigt, dass viele Sammelobjekte primär als Wertanlage sehen. So zeigt sich, dass über 57 % der Millennials Sammelobjekte für eine gute Geldanlage halten, im Gegensatz zu knapp 50 % bei allen deutschen Sammlern. Das Problem dabei ist, dass Streetwear-Trends extrem volatil sind und die wenigsten « Grails » ihren Wert halten oder steigern.
Der wahre Wert eines Schuhs oder Kleidungsstücks liegt in seiner Nutzung. Die Spuren des Tragens – die Patina auf dem Leder, die Falten im Stoff – erzählen eine persönliche Geschichte. Sie sind der Beweis für eine gelebte, tragbare Identität. Ein ungetragener Schuh in einer Box hat keine Geschichte. Er ist ein stummes Denkmal für einen kurzen Kaufrausch. Um diese Konsumfalle zu umgehen, hilft ein brutal ehrliches, rationales Werkzeug: die « Cost-Per-Wear »-Analyse (Kosten pro Tragen).

Dieses Bild eines gut getragenen Ledersneakers zeigt, was wahren Wert ausmacht: Charakter, Geschichte und eine Ästhetik, die durch Gebrauch entsteht. Anstatt den makellosen Neuzustand zu konservieren, sollten Sie danach streben, Ihren Lieblingsstücken eine solche persönliche Patina zu verleihen. Sie ist das ultimative Zeichen eines authentischen Stils.
Ihr Plan zur bewussten Kaufentscheidung
- « Cost-Per-Wear » berechnen: Teilen Sie den Anschaffungspreis durch die erwartete Tragehäufigkeit. Ein 800€-Sneaker, der nie getragen wird, hat unendliche Kosten pro Tragen.
- Vergleich anstellen: Ein Qualitätsschuh aus einer deutschen Manufaktur für 300€, der über zwei Jahre 200 Mal getragen wird, kostet nur 1,50€ pro Tragen.
- Budget aufteilen: Definieren Sie eine klare Regel, z.B. 20% des Budgets für « Kunstobjekte »/Sammlerstücke und 80% für hochwertige, alltagstaugliche Kleidung und Schuhe.
- Pflege-Investment einplanen: Investieren Sie in hochwertige Pflege. Produkte von deutschen Marken wie Collonil für 30€ können die Lebensdauer von Schuhen um Jahre verlängern und den « Cost-Per-Wear » weiter senken.
- Trage-Tagebuch führen: Notieren Sie für einen Monat, welche Teile Sie wirklich tragen. Die Ergebnisse sind oft überraschend und entlarven ungenutzte « Investments ».
Soll ich mit 32 noch Supreme tragen oder zu « erwachsener » Mode wechseln?
Diese Frage plagt viele, die mit Streetwear aufgewachsen sind. Die Angst, als « Mitläufer » oder « ewiger Jugendlicher » wahrgenommen zu werden, ist real. Die Antwort ist jedoch nicht, den eigenen Stil komplett aufzugeben und in die Uniform aus Chino und Hemd zu schlüpfen. Es geht um eine Evolution, nicht um eine Revolution. Streetwear selbst wird erwachsen, und mit ihm können Sie es auch. Die lauten Logos und provokanten Grafiken, die mit 20 Ihre Identität signalisierten, fühlen sich mit 30 möglicherweise nicht mehr passend an. Das ist ein natürlicher Prozess.
Trends sind per Definition vergänglich. Diese Erkenntnis nimmt den Druck, an einer bestimmten Marke oder einem bestimmten Look festzuhalten. Federico, der Sammler aus dem VICE-Interview, prognostiziert bereits das Ende des aktuellen Zyklus:
Die Szene ist heute schon viel vielfältiger als noch vor ein paar Jahren. Streetwear wird immer modischer, aber das Ganze wird wohl so in fünf oder sechs Jahren zu Ende sein – wie es mit Trends eben immer ist. Dann folgt die Rückkehr zu einem klassischeren Stil, und alles beginnt von vorn.
– Federico, Streetwear-Sammler, VICE Interview zur Supreme-Szene
Der Schlüssel liegt darin, die Essenz dessen, was Sie an Streetwear lieben – die bequemen Silhouetten, die Verbindung zur Kultur, die hochwertige Verarbeitung – beizubehalten und in eine reifere Form zu übersetzen. Glücklicherweise bietet der deutsche Markt hierfür exzellente Alternativen, die eine Brücke von jugendlichem Hype zu erwachsener Ästhetik schlagen.
Fallstudie: Die Evolution von LFDY zu Preach
Marken wie « Live Fast Die Young » (LFDY) bedienen oft eine jüngere Zielgruppe mit lauten Grafiken. Eine Marke wie Preach hingegen hat sich darauf spezialisiert, hochwertige und moderne Streetwear anzubieten, die auf erwachsenere Ästhetik setzt. Preach kombiniert moderne Oversized-Fits mit einer Qualität, die man sonst nur von High-Fashion-Marken kennt. Jeder Drop widmet sich einer Thematik, was für interessante, aber weniger plakative Designs sorgt. Der Wechsel zu einer solchen Marke ist kein Verrat am eigenen Stil, sondern eine logische Weiterentwicklung.
Anstatt also zu fragen « Supreme: ja oder nein? », lautet die bessere Frage: « Welche Elemente meines Stils sind mir wichtig und welche Marke oder welcher Look repräsentiert diese heute am besten? ». Es geht darum, die lauten Logos durch hochwertige Materialien, perfekte Schnitte und subtile Details zu ersetzen. So bleibt die DNA Ihres Stils erhalten, während die Erscheinung mit Ihnen reift.
Wie finde ich als Zugezogener in Berlin innerhalb von 6 Monaten einen echten Freundeskreis?
Diese Frage scheint auf den ersten Blick nichts mit Mode zu tun zu haben. Doch wenn wir sie metaphorisch betrachten, enthüllt sie eine tiefe Wahrheit über die soziale Funktion von Kleidung. Ersetzen Sie « Freundeskreis » durch « Stil-Community » und « Zugezogener » durch « jemand, der seinen Platz in der urbanen Kultur sucht ». Die Frage lautet dann: Wie signalisiere ich meine Identität und meine Werte so, dass ich die richtigen Leute anziehe? In einer anonymen Metropole wie Berlin ist Ihr Stil Ihr erster Botschafter. Er spricht, bevor Sie ein Wort sagen.
Ein Look, der ausschließlich aus globalen Hype-Pieces besteht, sendet eine klare, aber oft oberflächliche Botschaft: « Ich habe Geld und verfolge Trends. » Das mag in der Schlange vor einem Sneaker-Store für kurzfristige Anerkennung sorgen, schafft aber selten eine tiefere Verbindung. Ein authentischer, persönlicher Stil hingegen ist wie ein Gesprächsangebot. Er enthält subtile Hinweise auf Ihre Interessen: die abgenutzten Skate-Schuhe, das T-Shirt einer lokalen Band, die selbst reparierte Vintage-Jeans. Diese Details sind Anknüpfungspunkte für Gleichgesinnte.
Stellen Sie sich vor, Sie tragen in einem Café in Kreuzberg ein T-Shirt eines kleinen, unabhängigen Berliner Plattenlabels. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass jemand, der diese Nische ebenfalls schätzt, Sie darauf anspricht. Ihr Stil hat in diesem Moment als sozialer Filter und Eisbrecher fungiert. Sie haben nicht versucht, « dazuzugehören », indem Sie das Gleiche wie alle tragen. Stattdessen haben Sie Ihre Individualität signalisiert und dadurch eine authentischere Verbindung ermöglicht. Die Entwicklung eines persönlichen Stils ist also nicht nur ein Akt der Selbstverwirklichung, sondern auch eine aktive Strategie zum Aufbau einer Gemeinschaft, die auf gemeinsamen Werten und Interessen beruht, nicht auf gemeinsamen Konsumentscheidungen.
Soll ich nur behalten, was Freude macht, oder mit 100 Dingen leben?
Diese Frage, inspiriert von Marie Kondos « Spark Joy »-Philosophie und dem Minimalismus-Trend, ist direkt auf die Garderobe übertragbar und bietet den perfekten Gegenentwurf zur Hype-Sammelwut. Sie zwingt uns, die emotionale und funktionale Beziehung zu unserer Kleidung neu zu bewerten. Die Hype-Kultur basiert auf dem Versprechen von Freude durch Besitz, doch diese Freude ist oft flüchtig und an äußere Bestätigung geknüpft. Das Gefühl verblasst, sobald der nächste Drop angekündigt wird. Im Gegensatz dazu steht die Idee, eine Garderobe zu kuratieren, in der jedes einzelne Teil eine bewusste Entscheidung ist.
Die « 100 Dinge »-Herausforderung des Minimalismus bietet einen radikalen, aber nützlichen Rahmen. Sie zwingt zur Priorisierung: Was ist wirklich essenziell? Welches Stück ist so vielseitig, dass es fünf andere ersetzen kann? Dieser Ansatz fördert den Kauf von hochwertigen, multifunktionalen Basics – das Fundament jedes soliden Stils. Es geht um Effizienz und Klarheit.
Die « Spark Joy »-Methode von Kondo ergänzt dies um eine entscheidende emotionale Ebene. Ein Kleidungsstück, das « Freude macht », muss nicht praktisch oder trendy sein. Es kann ein Vintage-Stück mit einer besonderen Geschichte sein, ein Geschenk oder einfach ein Teil, in dem Sie sich unbesiegbar fühlen. Es ist ein Stück, dessen Wert intrinsisch ist und nicht vom aktuellen Marktwert abhängt. Der ideale Kleiderschrank ist eine Synthese aus beidem: Ein Kern aus etwa 100 hochfunktionalen, langlebigen Teilen, ergänzt durch eine kleine, sorgfältig ausgewählte Sammlung von Stücken, die einfach nur Freude bereiten. Dieser kuratierte Ansatz ist das genaue Gegenteil eines von Hype getriebenen Sammelsuriums. Es ist ein bewusster, persönlicher « Kurations-Prozess », der Qualität und Gefühl über Quantität und Status stellt.
Das Wichtigste in Kürze
- Hype-Kultur ist ein Geschäftsmodell, das auf künstlicher Knappheit und sozialem Druck basiert, nicht auf Stil.
- Entwickeln Sie Ihren persönlichen « Stil-Dialekt », der von Ihrer lokalen Umgebung geprägt ist, anstatt globale Trends zu kopieren.
- Nutzen Sie rationale Werkzeuge wie die « Cost-Per-Wear »-Analyse, um emotionale und kostspielige Fehlkäufe zu vermeiden.
Wie baue ich echte Freundschaften auf, wenn alle nur noch über Apps kommunizieren?
In der finalen Metapher unseres Guides repräsentieren « Apps » die digitale, entkoppelte Welt der Hype-Kultur. StockX, Instagram, Vinted, Online-Raffles – sie sind die Plattformen, auf denen Stil zu einem Zahlenspiel wird. Ein « Fit-Pic » auf Instagram sammelt Likes, ein seltener Sneaker erzielt einen hohen Preis auf einer Resell-Plattform. Kommunikation findet über Kommentare und Gebote statt. Es ist eine kalte, transaktionale Form der Interaktion, die auf externer Validierung beruht. Eine « echte Freundschaft » im Kontext der Mode ist das genaue Gegenteil: eine authentische, physische Beziehung zu dem, was Sie tragen, und zur Kultur, die es umgibt.
Eine « echte Freundschaft » mit Ihrem Stil bedeutet, dass Ihre Kleidung für Sie arbeitet, nicht für den Applaus anderer. Es bedeutet, ein Outfit zusammenzustellen, das sich an einem langen Tag in der Uni, bei der Arbeit und abends in einer Bar in Friedrichshain richtig anfühlt. Es ist der Komfort eines perfekt eingetragenen Hoodies, das Selbstvertrauen, das ein gut geschnittener Mantel verleiht. Diese Beziehung basiert auf Gefühl und Funktion, nicht auf digitalem Feedback. Es geht darum, sich in seiner Haut – und in seiner Kleidung – wohlzufühlen, unabhängig davon, ob jemand ein Foto davon macht.
Diese authentische Beziehung strahlt nach außen und ermöglicht echte Verbindungen. Wenn Ihr Stil Ihre Persönlichkeit und Interessen widerspiegelt, wird er zu einem Katalysator für reale Gespräche in der physischen Welt – im Plattenladen, im Skatepark, in der Galerie. Sie hören auf, ein Avatar zu sein, der digitale Statussymbole präsentiert, und werden zu einer Person, deren Kleidung eine Geschichte erzählt. Der Weg zu einem authentischen Stil ist somit auch der Weg weg von der oberflächlichen Kommunikation der « Apps » hin zu echten, auf gemeinsamen Werten basierenden Verbindungen. Es ist die ultimative Befreiung: wenn Ihr Stil nicht mehr schreien muss, um gehört zu werden, weil er einfach überzeugend ist.
Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Garderobe nicht als Sammlung von Trophäen, sondern als Ausdruck Ihrer einzigartigen Identität zu betrachten. Der erste Schritt ist eine ehrliche Bestandsaufnahme – was davon sind Sie wirklich, und was ist nur geliehener Hype?